feedback

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie können Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer erfahren, ob die Schülerinnen und Schüler in ihrem Unterricht genügend lernen? Hattie bringt es anschaulich auf den Punkt: Lehrpersonen müssen das Lernen aus der Sicht ihrer Schülerinnen und Schüler betrachten. Eine naheliegende und vor allem gängige Strategie, etwas über die Befindlichkeiten der Lernenden in Erfahrung zu bringen, besteht in (schriftlichen) Befragungen.

Im Anschluss an die Hattie-Studie ist ein Buch von Regine Berger u. a. (2013; Weinheim & Basel: Beltz) mit dem Titel „Warum fragt ihr nicht einfach uns? Mit Schüler-Feedback lernwirksam unterrichten“ erscheinen. Welchen Nutzen können wir für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen aus dieser Publikation, die sich Unterrichtsentwicklung à la Hattie auf die Fahnen geschrieben hat, ziehen? Schaut man sich das Inhaltsverzeichnis genauer an (z. B. über Amazon: Blick ins Buch), stellt man fest, das Berger und Mitautoren von evidenzbasiertem Lehren und Lernen weit entfernt sind. Es werden verschiedene Befragungsformen präsentiert, die einer Lehrperson keinerlei Auskunft darüber geben, in welcher Weise einzelne Schülerinnen und Schüler vom Unterricht, insbesondere der Darbietung und Erarbeitung neuer fremdsprachlicher Inhalte, profitieren. Auch der verkaufsträchtige Titel gibt zu denken, denn er suggeriert, dass Schülerinnen und Schüler sich geradezu danach drängen, ihren Lehrerinnen und Lehrern Auskunft über den jeweiligen Unterricht zu geben. Als erfahrene Lehrperson wissen Sie selbst, wie schwierig es ist, individuellen Lernenden wirklich relevante Informationen über die Effekte Ihres Unterrichts zu entlocken.

„Know thy impact“ fordert Hattie (2012: VII, IX, 5, 19, 32, 84, 157, 169). Um die Wirkung des eigenen Unterrichts abschätzen zu können, helfen die Fragebögen von Helmke (Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalisierung. Seelze: Klett Kallmeyer, 42012: 268-303) weiter. Im Rahmen des EMU-Projekts (Evidenzbasierte Methode zur Unterrichtsdiagnostik und -entwicklung) beschreiben Helmke und sein Team, welche Aspekte bei einer wissenschaftsorientierten Diagnostik im Mittelpunkt des Interesses stehen, nämlich 1. die Klassenführung, 2. das lernförderliche Klima, 3. die Klarheit/Strukturiertheit der Lehrperson/des Unterrichts sowie 4. die Aktivierung der Lernenden. Diese Punkte werden in einer (5.) Bilanz des Unterrichtsgeschehens zusammengefasst, und zwar aus drei Perspektiven, der der Schülerinnen und Schüler, der der unterrichtenden Lehrerperson und der von Kolleginnen und Kollegen, die in der Unterrichtsstunde hospitieren.

Schülerfragebogen

Lehrerfragebogen

Kollegenfragebogen

Ich konnte in dieser Unterrichtsstunde ungestört arbeiten.

Die Schüler/innen konnten ungestört arbeiten.

Die Schüler/innen konnten ungestört arbeiten.

Wenn die Lehrerin in dieser Unterrichtsstunde eine Frage gestellt hat, hatte ich ausreichend Zeit zum Nachdenken.

Wenn ich eine Frage gestellt habe, hatten die Schüler/innen ausreichend Zeit zum Nachdenken.

Wenn die Kollegin eine Frage gestellt hat, hatten die Schüler/innen ausreichend Zeit zum Nachdenken.

Mir ist klar, was ich in dieser Stunde lernen sollte.

Den Schüler/innen war klar, was sie in dieser Stunde lernen sollten.

Den Schüler/innen war klar, was sie in dieser Stunde lernen sollten

Ich war die ganze Stunde über aktiv bei der Sache.

Die Schüler/innen waren die ganze Stunde über aktiv bei der Sache.

Die Schüler/innen waren die ganze Stunde über aktiv bei der Sache.

Ich habe in dieser Unterrichtsstunde etwas dazu gelernt.

Ich habe die Lernziele dieser Unterrichtsstunde erreicht.

Die Kollegin hat die Lernziele dieser Unterrichtsstunde erreicht.


EMU-Fragebögen
stehen in zahlreichen Varianten zum kostenlosen Download zur Verfügung: http://www.unterrichtsdiagnostik.info/downloads/fragebogen/ (letzter Zugriff 15. Sept. 2014). Auch ein Video zum Englischunterricht in der 9. Klasse einer Realschule kann kostenfrei genutzt werden.

Schon früher, nämlich 2009, hat das ehemalige Institut für Qualitätsentwicklung (seit 2013: Landesschulamt und Lehrkräfteakademie) des Hessischen Kulturministeriums eine Broschüre + CD-ROM mit „Fragebögen zur Unterrichtsqualität“ herausgebracht, die kostenlos angefordert werden kann. (Für die Sek. I enthält die Broschüre einen Lehrer(innen)-Selbsteinschätzungsbogen sowie einen Schüler(innen)-Fragebogen einschließlich einer detaillierten Auswertungshilfe). Inzwischen stehen weitere Befragungsinstrumente des Hessischen Kultusministeriums zur Verfügung (Suchmaschinen-Eingabe: IQ Hessen Publikationen). Außerdem gibt es – wie beim EMU-Projekt– Hilfestellung für die Besprechung der Ergebnisse im Unterricht.

Was haben nun diese schriftlichen Befragungen mit Schüler-Feedback für Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer zu tun? Aus meiner Sicht sind sie allenfalls ein erster Schritt auf dem Weg zu Hatties Mantra: „When teachers SEE learning through the eyes of the student – When students SEE themselves as their own teachers“ (2009: 238). Eine Grundvoraussetzung für lernwirksamen Unterricht ist nach Hattie (und zahlreichen anderen Erziehungswissenschaftlern) folgende: „Teachers need to be aware of what each and every student is thinking and knowing, to construct meaning and meaningful experiences in light of this knowledge …” (a. a. O.). Die Betonung liegt auf “each and every student”.

Da schriftliche Befragungen der genannten Art anonym erfolgen, vermitteln sie der Lehrperson bestenfalls einen allgemeinen Eindruck, wie ihr Unterricht bei den Lernenden „ankommt“. Welche Schwierigkeiten einzelne Schülerinnen und Schülern in einzelnen Phasen des Unterrichts haben, warum sie manchmal nicht weiterkommen und vor allem wie sie die verabredeten Ziele trotzdem erreichen können – darüber geben schriftliche Befragungen nur sehr eingeschränkt Auskunft. In keiner seiner Publikationen (2009, 2012, 2013 mit Anderman, 2014 mit Yates) erwähnt Hattie im Zusammenhang mit Schüler-Feedback für Lehrpersonen schriftliche Befragungen.

Trotz der genannten Einschränkungen, denen schriftliche Befragungen zur Unterrichtsqualität unterliegen, sollte man sie einmal ausprobiert oder zumindest gesichtet haben. In Folge 3: Das verborgene Leben der Lernenden (in Anklang an Nuthall’s The Hidden Lives of Learners) stelle ich Ihnen Möglichkeiten vor, wie sie der tatsächlichen Wirkung Ihres Unterrichts auf einzelne Schülerinnen und Schüler trotz aller Schwierigkeiten auf die Spur kommen können.

Was ich Ihnen diesmal wünsche? Wissbegierige Schülerinnen und Schüler, kooperative Kolleginnen und Kollegen und eine bessere Bildungspolitik (solche Bildungsgipfel sollten ja zu positiven Ergebnissen führe, oder?)!